Fragment aus einer Kantate
Szene: Vor Gottes Thron
Einleitung CHOR I Wie lange noch, wie lange noch, wie lange noch? Vernichte uns! Vernichte uns! CHOR II Ein wenig Zeit, ein wenig Zeit, ein wenig Zeit! Erbarme Dich! Erbarme Dich! ANKLÄGER (Rezitativ) Es ist Zeit zu sprechen. Es istwahrhaftig Zeit zu sprechen. CHOR II Erbarme Dich! CHOR I Vernichte uns! ANKLÄGER (Rezitativ) Aus der Finsternis nahe ich Deinem Thron, ich, der Ankläger. VonGeschlecht zuGeschlecht schonten wirdieHoffnung unsrer Torheit. Einem soeben gezeugten Kind gleich, das verborgen liegt und noch kaum ist, so lagst du in unsrem Innern verborgen, du große Torheit. Von Geschlecht zu Geschlecht waren wir bereit, zu verleugnen, was wir hörten und sahen. Wer will das Böse sein? Wer will sein, was der Mensch in Wirklichkeit ist? Von Geschlecht zu Geschlecht waren wir nichts andres als unsre heimliche Torheit, unsre ungeborene. O Herr, wie grenzst du nahe an das, was nicht zu finden ist! Doch sieh' auf uns! Wir ertragen es nicht länger. Vernichte das Böse, das sich nicht selbst zerstören kann. Vernichte den Traum unserer Torheit, der nicht Wirklichkeit werden kann. Vernichte uns! CHOR I Wie lange noch, wie lange noch, wie lange noch! Vernichte uns! Vernichte uns! CHOR I Deine Schar sind wir, Herr, von dir verlassen. Vertrauen befahlst du - es war nicht zu fassen. Aus Nebeln der Bosheit schimmerte kein Licht mehr, aus Donnergrollen drang kein sanfter Laut mehr. Wir zitterten in der Wüste, allein geblieben mit hartem Gebot in Stein geschrieben. Dies ward uns Wasser, dies ward uns Brot. Doch Finsternis schwieg um unsre Not. Wir zogen des Weges von Gott Geschlagene Gebote Schleppende ins Feuer Gezwungene. Gericht und Sühne die Stimme befahl. Und das Urteil erfolgte, kein Trost in der Qual. Wir sanken in Gründe um neuen Sternen uns zuzuwenden in leuchtenden Fernen. O Traum, 0 Hoffnung in hohen Wogen. O große Verheißung, du hast getrogen. Ein Gebet, ein einziges steht uns noch zu: Der du uns schlugst, schlage noch härter zu! Raffe den Raum hinweg und ende die Zeit hinieden, vertilge alles und schaffe Frieden! Wie lange noch, wie lange noch, wie lange noch? Vernichte uns! Vernichte uns! SOLO (aus Chor 1) Wir wissen, daß nicht nur wir ein hartes Schicksal tragen. Wer in der Flut des Leidens darf das eigne Los beklagen. Gegen Pestzeiten und Hungerjahre und Schreie von Müttern in preisgegebenen Städten - was wiegen wir? Wir stellten vermessene Forderungen an unser Leben, und ahnten doch, daß es aus Gnade wohl ward gegeben. Die Toten wissen, die in Frieden ruhen, das Herz erträgt so viel. - - - Wir aber verzweifeln über den Menschen und über sein Ziel. Wir glaubten, die Wahrheit siegte aus eigner Kraft. Doch stärker lockte der Lüge hetzender Saft. Da die verstümmelten Seelen im Rausch vor dem Abgott Staat niedersinken, muß das Vertrauen im Mißtrauen und Liebe im Haß ertrinken. So sind wir der Span, der zersplitterte, der Hammer, der nichts wert. Komm, räuchere deine Schmiede aus mit Feuer und mit Schwert! Zünde von neuem die Esse an, zur Schöpfung, die wir nicht sind! Dein Geist war ein Funke im Menschen, ein Funke-zerstoben im Wind. CHOR I Vernichte uns! Vernichte uns! CHOR II Ein wenig Zeit, ein wenig Zeit, ein wenig Zeit! Erbarme Dich! Erbarme Dich! O gib, daß dies nicht so grausam unversöhnt enden werde! Nicht umsonst doch schontest du das Leben der Erde. Schenke noch eine kurze Frist, damit das Rad der Welt sich wenden kann! Und vielleicht ein neues Feuer in dunkler Nacht sich entzünden kann. O vergiß alle Worte, wenn dies vermessen gesprochen ist. Doch laß uns schweigen und wachsen, wie das Gras aus der Erde sprießt. Aus tiefer Scham blicken wir auf, aus sinnlosem Leiden. Wir lebten ja nur von Erwartung - laß uns als Harrende scheiden! Erbarme Dich! Erbarme Dich! EINZELSTIMME (aus Chor 11) O Herr des Makrokosmos, o Herr des Mikrokosmos, der du das Maß sprengst, sei es groß oder klein, du allein weißt wie Maß und Zahl täuscht, du weißt, daß das Leben ist, was es immer war. Wer über das Schlachtfeld geht und hört das Jammerschrei'n, je mehr er sieht und hört, je mehr wächst seine Pein. Doch keine Summe ergibt sich aus dem Kummer der Welt: Nur allmählich begreift man, was eine Seele enthält. Keine Summe ist das Leben der Welt, aber der Weg, den die Seele nahm, kein Ziel ist in Sicht, doch Siege in klarer Scham. Du lachst über unsre Ziffer und Zahl. Laß brennen das Fegefeuer der Erde! Laß alles, alles uns noch, daß Uberwindung uns werde! CHOR I (erstrebend) Vernichte uns! Vernichte uns! CHOR II (erstrebend) Erbarme Dich! Erbarme Dich! Faulheit ANKLÄGER Zuerst zu euch, die ihr euch unschuldig glaubt, ihr Faulen! Eine schwere Bürde bindet euch an euch selbst, schwerer als schweres Verbrechen und schwerer, als die Erde binden kann. Wehe eurer Schuld an allem Bösen, das ihr nicht verhindert habt! Wehe eurer Schuld an allem Guten, das ihr nicht getan habt! Eine schwere Bürde! Um eurer Schuld willen geht die Welt unter. CHOR Vom eigenen Herzen sind wir vergessen worden. An seinen steilen Mauern ist unser Lager in der Nacht. Vom Leben sind wir zum Scheintod verdammt worden, nach Quellwasser lechzend in unserem Schacht. Die Arme schlingen wir fest um unsere Knie, in Spannung erstarrt, nicht Ruhe genießend, Uber den Grat der Mauer wehen frische Tränen, unter ihren Wurzeln hören wir Quellen rieseln. Da ist unser Leben. Da ist unsere Seele. Der du kommst als Strafender, was tust du, um uns loszumachen? Weißt du den Weg dorthin, wo alles gut ist? Wenn wir von den Quellen fortgehen, wird der Wüstensturm uns zermalmen. Es gibt keine Krüge für unsren ausgetrockneten Mund. Niemals dürfen wir die Hände erheben zur Handlung, niemals - bis wir einst trinken aus innerstem Grund. An den Mauern unseres Herzens erwarten wir die Verwandlung. SOLO Du rufst. In mir hallt leise ein Echo wider, doch tief in meine Täler beugt mich Unwille nieder. Aus meinem Volk will ein einsamer Mann dir, Rufer, dienen, als Kämpfer dann. Doch ich befürchte Überfall in der Seele Welt, der Starken Einfalt, denen das Schwert gefällt. Laß meine Mannigfaltigkeit zusammenheilen, und jeder Tropfen Blut wird dir entgegeneilen! Unüberwindlich wäre sie dann in ständiger Treue, wenn sie zur Einheit reifen kann aus Spaltung und Reue. Machtlos fiele der Staub des Tages von ihrer lebendigen Haut, mächtig im Schweigen zöge sie heraus aus Lärrn und Laut. CHORAL Was krank ist und in Teilung, das sehnt sich sehr nach Heilung und betet um Treue noch. Du lebst ja mitten unter uns. Herr, unser Zaudern band uns, darin warst du verborgen doch. Wollust CHOR Tageslicht ist Femdlingsland. Da gehen wir gekleidet in Masken und Panzern. Da gehen wir verhüllt in Name und Vorzeit, in Mänteln der Scham und Ehrenkränzen. Hier, in der einzigen und äußersten Handlung werfen wir die neun Häute unseres Ich ab, steigen mit geschlossenen Augen in die Quelle, nackt wie Keime und Götter. Nackt wie Keime. Verwandlungsnacht. Unter das Menschliche rühren wir schaudernd, folgen der Spur von Urzeitahnen, tiefseedunkel und phosphorleuchtend. Der Paarungshunger von Jahrmillionen verschlingt und trägt alles irdische Schicksal. Menschliche Formen und Namen sind vergänglich, Tropfen aus der Flut der Ekstasen. STIMME DES MANNES Betäubt erwache ich - aus welcher Scham? Nicht menschliche Begegnung war, was ich vernahm. Ein Leben am Boden meines Selbst führte ich, und den Elementen gehörte ich. SIIMME DER FRAU In Betäubung sank ich, finsternisumblendet, von keinem Mann, doch von Phantomen geschändet. Von Lüsten der Erdgeister erglühte ich, und mythische Ungeheuer gebar ich. CHOR Nackt wie Götter. Im Morgengrauen aus dem Meer gestiegen stehen sie am Strand. Ohne ihren Weg und ihr Reich zu kennen, nehmen sie einen zögernden Schritt über den Sand. Ohne zu wissen, welche Kräfte hier walten, atmen sie sachte, bleiben stehen und wenden sich. Die Welten erwachen aus Geistergriff, Tiefe und Höhen entfachen sich. STIMME DER FRAU Wie demutsvoll mächtig ein Stolz sein kann. Ich bin ein heiliges Bild, nur ein Zeichen dann, durchleuchtet von einer Macht, die hinter mir steht. Deine Verehrung erfüllt mich, die über mich hinaus geht. STIMME DES MANNES Wo blieb unsere Schwere von Erdhaftigkeit! Du bist ungeschaffene Offenbarung. Ich selbst bin Feuer. Ich selbst bin nichts. Unser Reich schwebt. Wir sind hinter den Dingen. CHOR Willst du den letzten Weg versperren? Willst du die letzte Flut eindämmen, da unser trockenes Wesen getränkt wird von Welten jenseits des irdischen Schicksals? Willst du im Namen alles Namenlosen zeitloses Feuer vom Schöpfungsball ersticken bis das verzehrende Wunder dem Willen und Endziel weicht? CHORAE O Gott, wie willst du richten, vergessen doch mitnichten ließt du uns deine Macht. In Drangsal hier und Not war Lust gleichsam der Tod, Geräusch aus tiefer Nacht. Hochmut Wie könntest du sein ohne uns, du Säumiger Großer. Wo hättest du Raum darin zu entstehen, wenn nicht unser Hochmut wäre. Dein Schutz und Dein Felsengrab sind hier unsere gebundenen Hände. Höre, wir beten, obschon nicht um Gnade, mit zusammengebissenen Zähnen: Ich vermag! Rund um uns rankt sich zäh und blind das wimmelnde Leben. Dem einsamen Menschen, hoch oder niedrig, ward dumpfe Verzweiflung gegeben. Das wunderbar Beschaffene fehlt uns viel zu leicht. Segne du unseren Hochmut, der dies zuletzt erreicht: Ich vermag! Was hätten wir sonst, das aushielt in leblosen Gefilden und sich selbst einen Trost schuf aus unwirklichen Gebilden- das aus dem Chaos die Form zwang mit heimatlosem Feuer, dem Weinen Töne und dem Schrei das Wort gab und sich rettete in dies: Ich vermag! Hier wägt eine Waage die Gerechtigkeit von Leben und Tod. Wie tief sie auch hängt, die Schmerzensschale mit Schicksalsnot, wie leicht die andere mit allem, das wert ist danach zu trachten! Lege hierein unseren heiligen Hochmut, Gott - dann sinkt sie sachte. Ich vermag! Schluß CHOR Nicht einmal das Böse kannst du vernichten, du unser Herz, ohne selbst zu vergehen, nicht die Dämonen zugrunde richten ohne dich selbst zu treKen, ewiger Same. Ewiger Same, keiner sah dich blühen, keimen nur, allezeit und immer wieder. Dennoch genug, um den Sinn im Leeren zu spüren. Gönne uns noch des Lebens lange Sehnsucht. Gönne uns noch des Tages schwerste Stunde, Qual und Qualm, denn der Stern der Morgendämmerung bist du, schimmernder kühler Trost, flimmernd im Nebel, getragen von sieben finsteren Wolkendrachen.
Auf
schwedisch
Ubersetzung ins Deutsche: Hildegard Dietrich
"Brennendes Silber".
Copyright © 1997:
Ubersetzung ins Deutsche: Hildegard Dietrich
Veröffentlicht mit Erlaubnis von:
Hildegard Dietrich, Ubersetzung
Maximilian Dietrich Verlag, Verlag.
May and Hans Mehlin, Layout.